Von Neuseeland an die Spree
Maryanne Redpath hat intensive Monate hinter sich. Seit vergangenem Herbst läuft die Maschinerie der Internationalen Filmfestspiele Berlin wieder auf Hochtouren. Seitdem hat die Leiterin der Sektion Generation mit ihrem Gremium etliche Filme für Kinder und Jugendliche angeschaut, ausgewählt und programmiert. Sie hat mit Filmemachern verhandelt und Deadlines für Kataloge, Dokumentationen und Einladungen eingehalten. „Das Spannende an dieser Arbeit ist, das sich die Alltäglichkeit immer wieder ändert“, sagt sie mit Begeisterung „Das Jahr hat eine eigene Dynamik und du kriegst keine Langeweile!“
Eine gebürtige Neuseeländerin in Berlin
Bereits seit 1978 widmet die Berlinale eine Abteilung speziell Kindern und Jugendlichen, 2006 wurde das Kinderfilmfest in Generation umbenannt. In den zwei Wettbewerben, Generation Kplus und Generation 14plus, zeigt die Sektion herausragende Filme und ehrt die besten Entdeckungen mit dem Gläsernen Bären. „Es wichtig, dass sich das internationale Gegenwartskino auf Augenhöhe junger Menschen begibt, weil Kinder und junge Menschen Teil unseres Lebens, unserer Gesellschaft sind. Probleme, Schwierigkeiten und Herausforderungen, die sie durchmachen, können anhand der Filme wahrgenommen werden.“ erklärt Redpath, selber zweifache Mutter von mittlerweile erwachsenen Kindern.
Ein bewegter Lebenslauf inspiriert
Ihr ist wichtig, klar zu stellen, dass Kinderfilme genauso vielfältig, facettenreich und von guter Qualität sein können wie Filme für Erwachsene. Dennoch ist es nicht selbstverständlich, dass ein Filmfestival der Kategorie A eine eigene Kinderfilm-Sektion unterhält, ganz im Gegenteil, in Cannes und Venedig sucht die Sektion Generation vergeblich ihresgleichen.
Rund 1500 Filme wurden für 2013 angemeldet, etwa zwei Drittel davon sind Kurzfilme. Dank einer Vorauswahlkommission muss Maryanne Redpath jedoch nicht alle selber sichten, schließlich ist sie nebst Sektionsleiterin auch noch Berlinale-Delegierte für Australien und Neuseeland und Mitglied der Asian Pacific Film Academy. Aber das ist noch lange nicht alles. Ihr Lebenslauf ist ein buntes Potpourri: Multimedia-Performance-Künstlerin, Theatertechnikerin, Theaterlehrerin (sowohl für Behinderte als auch für Kinder), Kunstlehrerin für Aboriginal-Kinder und -Jugendliche in Australien, Autorin für Filme, Moderatorin, Englischlehrerin, Übersetzerin und Feldenkrais-Pädagogin.
Maryanne Redpath, Berlinale-Sektionsleiterin GENERATION
Wer sogar mal als Clown gearbeitet hat, muss über sich selber lachen können. Wer ist diese unermüdliche Frau mit der positiven Ausstrahlung? Die gebürtige Neuseeländerin kam 1985 per Schicksal nach Berlin, zuvor hatte sie mit einem Briten und dem gemeinsamen dreijährigen Sohn in London gelebt. Als der kleinen Familie das Geld ausging, warfen sie eine Münze: „Madrid oder West-Berlin?“ Sie ließen alle Netzwerke zurück und begannen hier bei Null. Redpath suchte sich einen Job als Englischlehrerin und lernte Deutsch von Kindern auf Spielplätzen: „Kinder sind die besten Lehrer, sie denken nicht grammatikalisch, sondern reden einfach!“ Eines Tages ging ihr Partner nach Australien, sie blieb mit dem Sohn hier. Dann, sieben Jahre nach dessen Geburt bekam sie noch ein Kind, eine Tochter, von der sie lachend sagt: „Sie ist das Deutscheste von uns!“
Maryanne Redpath scheint nicht eitel. Sie trägt legere Klamotten zum Interview, kurze Nägel ohne Lack, keinen Schmuck trotz Ohrlöcher. Dass wir Fotos von ihr machen, hat sie nicht gewusst, ist dennoch kein Problem. Die 55-Jährige untermalt ihre Erzählungen mit den Händen, wirkt jung und dynamisch, ihr englischer Akzent ist durchweg präsent. Sie steckt das graumelierte Haar hinters ohr, gewelltes, dickes Haar, das die feine Haarspange kaum zu halten vermag. In jungen Jahren hat Heimat ihr nicht viel bedeutet, heute fühlt sie sich in Neuseeland, Australien und Berlin heimisch.
„Ich bin eine Schnecke, mit meinem Haus auf dem Rücken. Wo ich hingehe, habe ich ein Zuhause.“ Ein Mal pro Jahr fliegt sie für vier Wochen im Herbst in ihre andere Heimat auf der Südhalbkugel. Als Berlinale-Delegierte für Australien und Neuseeland trifft sie dort eine Vorauswahl an Filmen und nutzt die Gelegenheit, ihre Familie zu sehen. Ihr soziales Engagement, sowie der besonders gute Draht zu Kindern und Jugendlichen resultiert vermutlich aus ihrer familienorientierten Kindheit. Als „Sandwichkind“ mit zwei Brüdern groß geworden, erzählt MR offenherzig: „Ich hatte immer ein starkes Familiengefühl, mit einem großen Netzwerk aus Tanten, Onkel, Cousins, Großeltern etc. Es existiert heute noch immer, wenn ich zurück gehe!“
Maryanne Redpath hat in ihrem Leben selten etwas zielstrebig gemacht, dafür alles mit Passion. Sie ist darauf bedacht, ihre Mitte nicht zu verlieren, sich gut zu fühlen, mit dem was sie macht. Vielleicht ist es genau das, was der Quereinsteigerin schon oft im Leben zum Erfolg verhalf. „Wenn man aus einem Land wie Neuseeland kommt, ist man freier, neue Wege einzuschlagen [als die Europäer es sind]“, erklärt sie. „Ich habe keinen Rucksack auf meinem Rücken voll mit Steinen, der mich in die Vergangenheit zieht, sondern ich gehe nach vorne.“
2013 schaut sie dann doch in die Vergangenheit: Als Kuratorin der erstmals stattfindenden Berlinale-Sonderreihe „NATIVe – A Journey Into Indigenous Cinema“ statt. In der dreiteiligen Serie stehen bis 2015 indigene Völker unterschiedlicher Kontinente im Fokus Film. „Der Austausch mit indigenen Menschen, die so fundiert sind mit ihrem Gefühl, woher sie kommen und wohin sie gehören, fasziniert mich – vielleicht aufgrund der Tatsache, dass ich das Heimatgefühl selber so nicht habe.“
Möglich, dass sie eines Tages zurück nach Neuseeland oder Australien geht. Oder sie verfolgt „Plan B: Mit einem kleinen Van durch die Gegend ziehen, um Cappucchino auf Märkten zu verkaufen!“ Aber derzeit ist sie sehr zufrieden mit sich: „… obwohl es manchmal schwierig ist, das alles unter einen Hut zu kriegen. Aber ich sehe Licht am Ende des Tunnels und ich sage zu mir selber „Go with the flow!“ Was auch immer passiert, es ist noch lange kein Ende in Sicht.
Text: Sandy J. Bossier, Foto: Dominik Butzmann
Veröffentlicht im Februar 2013 im Stadtmagazin HIMBEER (Print)